Sehr viele Menschen finden sich plötzlich im Home-Office in einem “virtuellen Team“. Da ich dazu veröffentlicht habe, hier ein paar Hinweise für Führungskräfte und Mitarbeiter*innen. Für den Erfolg geht es nicht nur darum, eine stabile und sichere Internetverbindung und bestimmte Tools zu haben; auch die Teamdynamik und Führung sind wichtig.
- Der Begriff „virtuelles Team“ ist unschön. Ein Team besteht aus den Menschen. Ein Team ist ein Team. Punkt. Der einige Unterschied ist, dass der Anteil an Face-to-Face-Kommunikation in Büro höher ist. (Angeblich…)
- Der Schlüssel zum Erfolg ist die Wahrnehmung von Nähe. Die Forschung zeigt, dass die Häufigkeit der Kommunikation und die Identifikation mit dem Team wesentlich sind bei der Wahrnehmung von Nähe. Physische Nähe führt nicht zur Wahrnehmung von Nähe zu Personen (im kommunikativen Sinn). (cf. Wilson, O‘Leary, Metiu, Jett: 2008)
- Hinterfragen Sie Ihre eigenen Annahmen, z.B. „Home-Office ist schwierig. Aus den Augen aus dem Sinn!“ Auch wenn derzeit eine Home-Office-Euphorie herrscht, besteht die Gefahr, dass es sich um eine Honeymoon-Phase handelt. Wenn die neue Situation zum Alltag wird, könnten die dahinter liegenden Annahmen die Teamdynamik und das Führungsverhalten stören. Annahmen prägen Konversationen. Seien Sie sich dessen bewusst und sagen Sie lieber: “Die digitale Zusammenarbeit ist eine gleichwertige Alternative zur Arbeit im Büro” und der Erfolg ist wahrscheinlicher.
- Wer meint, physische Nähe sei so wichtig, sollte wissen: Teams auf mehreren Stockwerken gehören zu den ineffektivsten. (cf. Siebdraht, Hoegl, Ernst: 2009). Wer wirklich auf physischer Nähe pocht, sollte sich fragen: wollte ich im Großraumbüro sitzen? Habe ich intern auf Telefon und Email verzichtet, um meine Kolleg*innen lieber persönlich aufzusuchen?
- Viele Leute hadern mit Videochat, und zwar aus vielen Gründen. Sich zu sehen ist jedoch besser als nur sich zu hören. Stellen Sie bloß beim Videochat sicher, dass Ihr Oberkörper und ihre Hände sichtbar sind. Gestik fördert Verständnis.
- Video ist besser als das Telefon, Telefon ist besser als Email. Chats sind besser als Email. Alles ist besser als Email. Email ist halbwegs geeignet, um Unterlagen auszutauschen, für Team-Kommunikation ist es das Letzte. Mittlerweile müsste das jede*r wissen.
- Standortunabhängiges Arbeiten fordert alte Führungsgewohnheiten heraus. Statussymbole werden weniger sichtbar, das Eckbüro ist verloren, man kann nicht mehr zu sich ins Büro bitten lassen, etc. Führungskräft, für welche solche Sachen wichtig sind, werden auch digital Wege finden, um bewusst oder unbewusst Macht zu zeigen und das Ego zu fördern. Für alle gilt jedoch: Ein Bewusstsein für die eigenen Motive in dieser aktuellen Veränderungsphase kann helfen, weiterhin wirkungsvoll als Führungskraft zu agieren.
- Nehmen Sie sich in Acht vor Misstrauens-Statements wie “Na, Spülmaschine gerade ausgeräumt?“ wenn Sie jemanden nicht direkt erreichen. Abwesenheiten vom Schriebtisch gibt’s es auch im Büro. Verteilzeiten gehören zum Job, unabhängig vom Arbeitsort.
- In vielen Organisationen hat sich eine informelle Regel etabliert, dass man Home-Office macht, um ungestört zu arbeiten. Das hilft jetzt auch nicht weiter. Manchmal muss man ungestört arbeiten, manchmal muss man Sachen abstimmen. Der Ort ist dabei zweitrangig. Hauptsache man ist transparent darüber, was man gerade macht, um berechenbar zu sein.
- Kommunizieren Sie häufiger miteinander. Nicht nur vertikal zur Führungskraft hin, auch horizontal im Team. Das fördert die Arbeitsbeziehungen und stärkt die Identifikation. Machen Sie Team-Check-ins am Morgen und am Nachmittag. Statten Sie dafür jedem und jeder mit den entsprechenden Geräten und Anwendungen aus.
- Replizieren Sie Ihre Büro-Gewohnheiten zuhause: Kleidung, Pausenzeiten etc. Richten Sie einen dezidierten Arbeitsort ein, vielleicht mehrere. Essen Sie nicht wo Sie arbeiten.
- Vereinbaren Sie, wie Sie im Team miteinander kommunizieren wollen. Somit können verlässliche Prozesse etabliert werden.
- Wer sonst „Guten Morgen“ zu jedem im Büro sagt, kann auch remote arbeitende Kolleg*innen „Guten Morgen“ sagen. Dafür gibt es Apps. Wenn Sie Mittag machen oder in den Feierabend gehen, ist es auch eine Möglichkeit, das den anderen zu kommunizieren. Im Büro sieht man das (naja, manchmal…). Somit sind Sie transparent und Ihr Verhalten ist für andere berechenbar. Gedankenspirale wie „warum nimmt er nicht ab?“, „sie macht was anderes außer Arbeit!“, „sie ignoriert mich!“ etc. können vermieden werden.
- Die Holschuld ist im Home-Office noch wichtiger als sonst. Wer den Status eines Vorgangs wissen will, muss andere aktiv danach nachfragen oder nachschauen. Es bringt nichts zu warten, bis man informiert wird. „Mir hat keine*r was gesagt“ ist Anspruchsdenken, der nicht weiterhilft.
- Online-Meetings können erfolgreich sein, wenn man keine Zeit verliert mit Technik: sofort auf eine andere Anwendung oder auf das Telefon umsatteln, falls es nicht klappt. Es gibt viele gute Quellen für erfolgreiche Online-Moderation.
- Selbstausbeutung und Burn-Out sind wirkliche Gefahren im Home-Office. Das ist auch eine Frage von Selbstführung und Haltung: Resilienz kann gefördert werden. Machen Sie Pausen, holen Sie frische Luft, passen Sie auf sich auf. Es ist aber auch eine Frage von schädlichen informellen Regeln in Teams, die aufgedeckt und geändert werden können.
- Reflektieren Sie beizeiten bewusst die Zusammenarbeit: „Was geht gut, was können wir besser machen?“ Dafür gibt es viele Vorgehen, z.B. im Check-in bietet ein Teammitglied seine Beobachtungen zur Zusammenarbeit und Kommunikation an. Nutzen Sie auch diese Begegnungen, um sich mitzuteilen, wie es Ihnen in der aktuellen Phase geht.
- Kaffeeküchen-Gespräche und Tratsch sind total wichtig für Teams. Tools gibt es genug, um das digital zu machen. Kommen Sie per Video einfach so mit einer Tasse Kaffee zusammen, um sich jenseits von der Arbeit auszutauschen. Ohne Agenda. Dafür brauchen Sie keine Betriebsvereinbarung. Sprüche von nicht-teilnehmenden Führungskräften und Kolleg*innen wie „Ah, da nimmst Du auch teil?“ oder „was habt ihr da beredet?“ sind besonders toxisch.
- Nur Remote ist auf Dauer auch nicht gut. Manchmal muss man sich physisch gegenüberstehen. Für die Zeit nach der Krise ist eine gesunde Mischung von Face-to-Face und Remote sinnvoll, damit jedes Teammitglied sein Bestes geben kann.
Vortrag auf dem Forum Personalvertretungsrecht des Deutschen Beamtenbunds: https://www.youtube.com/watch?v=9ayfEtr6W_4
Ovey, J: „Der Betriebsrat als virtuelles Team: Arbeit und Kommunikation im Betriebsrat in der modernen Arbeitswelt“, in: Zeitschrift für Betriebsverfassungsrecht, Heft 11/2019
Ovey, J: „Der Personalrat als virtuelles Team: Arbeit und Kommunikation im Personalrat in der modernen Arbeitswelt“, in: Zeitschrift für Personalvertretungsrecht, Heft 3/2019
Siebdraht, Hoegl, Ernst: How to Manage Virtual Teams? In MIT Sloan Management Review, 2009
Wilson, O‘Leary, Metiu, Jett: Perceived Proximity in Virtual Work: Explaining the Paradox of Far-but-Close, in: Organization Studies, 29(07), 2008